Sinti und Roma

Ein Besuch des Dokumentationszentrums deutscher Sinti und Roma in Heidelberg mit der beeindruckenden Ausstellung ist für jeden zu empfehlen, der sich ein Bild vom Ausmaß ihrer Verfolgung in der NS-Zeit und von der gedankenlosen Grausamkeit machen will, mit der dies geschah.

MunaVeRo hat die Ausstellung am 06.07.99, zu Beginn der Sommerferien, mit einer kleinen (aber feinen!) Schar daheimgebliebener Vereinsmitglieder und Gäste besucht. Wir hatten vorher eine Führung vereinbart, die bei spontanen Besuchen nicht möglich ist.
Man kann ansonsten, was Peter und ich zuvor getan hatten, jederzeit innerhalb der Öffnungszeiten dorthin kommen und alleine durch die Ausstellung gehen. Dann hat man die Möglichkeit, in Ruhe auch die Videos mit Zeitzeugenberichten anzuhören. Für einen solchen Besuch sollte man allerdings Zeit mitbringen, 2-3 Stunden sind schon erforderlich.

Nur noch eine kleine Minderheit der Sinti und Roma zieht mit dem Wohnwagen umher. Dennoch prägt diese Minderheit hauptsächlich unser Bild von den „Zigeunern", wie sie vielfach noch genannt werden.
Dabei sind deutsche Sinti und Roma seit Jahrhunderten hier beheimatet und verstehen sich in der Mehrheit als ganz normale Deutsche, die inzwischen in allen gesellschaftlichen Bereichen und in allen Berufen integriert sind.

Das galt auch weitgehend schon vor der nationalsozialistischen Machtergreifung.
Viele Sinti und Roma lebten ortsgebunden, übten bürgerliche Berufe aus, dienten in der Armee und auch in der Marine. Die meisten deutschen Sinti und Roma waren Christen.
Dennoch gab es weit verbreitet die noch heute erhaltenen Vorurteile über Zigeuner als fahrendes „Gesindel", das bettelt, stiehlt und arbeitsscheu ist.

„Zigeuner" waren zwar den Nationalsozialisten verdächtig, sie wurden aber nicht so öffentlich und vordringlich zum Volksfeind erklärt, wie die Juden. Deshalb wollte man nach dem Krieg zunächst nicht wahrhaben, daß es überhaupt eine systematische Verfolgung gegeben hatte.
Viele überlebende Opfer mußten nach 1945 jahrelang - in manchen Fällen Jahrzehnte lang - um die Anerkennung und Wiedergutmachung kämpfen.

Rassenideologen der Nationalsozialisten erklärten die Zigeuner für minderwertig. Ärzte und Mitarbeiter der NS-Gesundheitsbehörden, sogenannte „Rassehygieniker", versuchten durch systematische und zwangsweise Vermessung aller möglichen Körpermerkmale Eigenheiten einer „zigeunerischen Rasse" als sicheres Unterscheidungsmerkmal vom „arisch/germanischen" Menschen zu finden.
Sie lieferten die scheinbar wissenschaftliche Begründung und bereiteten den Weg für die konsequente Verfolgung.

Die Namen Robert Ritter und Eva Justin haben hierdurch eine traurige Berühmtheit erlangt und mit ihnen die Stadt Frankfurt - zuletzt im Jahr 1998 durch eine verweigerte Gedenktafel am Gesundheitsamt, wo Ritter und Justin auch nach dem Krieg noch viele Jahre unbehelligt gearbeitet haben. Diese Gedenktafel wurde inzwischen zwar angebracht, aber erst, nachdem sie spektakulär “Kirchenasyl” erhalten hatte und die Peinlichkeit offenbar zu groß wurde.

Mit dem Erlass von Zigeunergesetzen, der systematischen Beobachtung und Erfassung durch die Polizei, der Verordnung von Aufenthaltsbeschränkungen und letztlich der Deportierung begann eher nebenbei und wenig beachtet die Verfolgung und Ermordung tausender Sinti und Roma in Konzentrations- und Vernichtungslagern.

Die Ausstellung in Heidelberg dokumentiert diese Entwicklung in allen Stadien sehr eindringlich und nachvollziehbar mit Dokumenten wie Erlassen des Innenministeriums, Urteilen, Zeitungsberichten, Schriftwechsel und Tagesbefehlen von SS und Kriminalpolizei, Bildern und Kurzbiographien der Opfer sowie Videos mit Zeitzeugenberichten.

Beeindruckend und bedrückend die Ausstellung - sehr engagiert und nicht wissenschaftlich kalt und nüchtern die Führung durch Frau Anita A., die als Sintezza einen ganz persönlichen Bezug zu den Bildern hat: für sie werden nicht nur irgendwelche anonymen Opfer beschrieben, die Ausstellung dokumentiert auch Schicksale einiger Verwandter.

(Rudolf Ostermann)